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Auf dem Land

Die letzen drei Wochen hatte ich die Möglichkeit, in einem indischen Dorf zu leben. In diesem Blog erzähle ich von meinen Erfahrungen und meiner Arbeit.
Auf dem Land

Jyoti, meine Chefin, kam vor einigen Wochen auf mich zu und fragte mich, ob ich mal das richtige Indien erleben will. Natürlich waren Maxi und ich dabei, so hatten wir die Möglichkeit die drei Wochen auf dem Land zu verbringen.
Wir waren zu Gast in einem Dorf namen Rajpur, direkt an der Grenze von den Bundestaaten Uttar Pradesh und Madhya Pradesh, mit etwa 2500 Einwohnern. Von den Bauern vorort bezieht EatRightBasket viele seiner organischen Produkte.


Für mich hieß das also endlich wieder frische Luft, sehr gutes Essen und eine ganz andere Welt.

Die Fahrt zum Dorf war auch gleizeitig meine erste Busfahrt hier. Aber ich muss euch leider enttäuschen, ich habe mich nicht am Dach festklammern müssen, sondern konnte die sechs Stunden Fahrt, einigermaßen komfortabel, im Bus verbringen. Diese waren nicht wirklich Ereignisreich, bis auf gutes Essen und Chai beim ersten Halt.

Der Zweite Halt war dann unserer. Naja, ein Halt war das nicht wirklich, wir wurden irgendwo auf der Autobahn rausgelassen und konnten erstmal den Zubringer runter nach Etawah laufen.
Etawah ist die nächstgelegene Stadt und wir hatten noch eine letzte Tuk Tuk Fahrt, mit ungefähr einer dreiviertel Stunde, vor uns.
Diese war fast spannender als die Busfahrt, mit teilweise nur fünf Meter Sicht, dank dem Nebel, und unseren Koffern, die mit einer sehr vertrauenerweckenden Schnur auf dem Dach fixiert wurden.
Schließlich erreichten wir dann um halb fünf unser Ziel und fielen direkt ins Bett.

Am ersten Tag wurden wir direkt mit einem leckeren Frühstück geweckt und uns wurden alle Personen im Büro vorgestellt.
Wir leben hier in einer Kombination aus Verarbeitungsstelle und Büro. Akhilesh, der Projektleiter hier, ist gleichzeitig für uns verantwortlich und hatte uns auch auf der Fahrt begleitet. Mit diesem teilen wir uns ein Zimmer was neben zwei Betten und einem Tisch auch als Abstellkammer benutzt wird.

Ja richtig, nur zwei Betten und natürlich hab ich den kürzesten gezogen und durfte auf dem Tisch schlafen, was aber mit ein paar Matratzen erträglich war.

Ich glaube, das hier als ein Tagebuch zu gestalten wäre ein wenig langatmig und weniger interessant. Also werde ich versuchen, euch einige Einblicke in das Leben in Indischen Dörfern zu geben und ein bisschen über meine Arbeit und die von EatRightBasket erzählen. Ein paar Highlights sind natürlich auch dabei.


Um euch aber trotzdem kurz einen Einblick in meinen Alltag zu geben, fasse ich schnell mal einen typischen Tag zusammen.

Das Dorf fängt meist schon um sechs aktiv zu werden, aber wir konnten uns zum Glück noch ein paar mal im Bett umdrehen und so zwischen acht und zehn aufstehen.
Danach gab es Chai und manchmal auch Frühstück. Nach einer, leider meist viel zu kalten, Dusche ging es auf die Felder mit Akhilesh. Dort hat er uns viel über die organische Landwirtschaft, das Leben auf den Feldern und im Dorf erzählt und wir konnten auch mal selber Hand anlegen.

Unsere Aufgabe war, einige kurze Filme für ERB zu erstellen und so wurden natürlich viele Bilder und Videos gemacht, die die Felder und Prozesse dokumentieren.

Gestärkt mit einem Mittagessen im Office, und natürlich einer ordentlichen Pause, gab es dann Besuche bei Bauern, weitere trips auf die Felder oder zu anderen Attraktionen in der Nähe, wie die Flüsse oder Historische Tempel und Festungen.

Gegen Ende des Tages war es oft ruhig, da hier die Sonne recht schnell untergeht und das Dorf sich auch schon recht früh zur Ruhe legt. Ein paar ausnahmen gab es aber, wie eine Hochzeit, nächtliche Tuk Tuk fahrten in die Nachbarstadt oder diverse Dorffeste, die hier gefühlt mehrmals die Woche stattfinden.


Jyoti saß zusammen mit uns vor unserer Abreise und erzählte von den Erfahrungen eines Vorfreiwilligen. Dieser war auch einige Tage in einem Dorf verbracht und ist halb indisch.
Trotzdem war er eine richtige Attraktion für die Locals und er wurde bei jedem Schritt mit großen Augen begleitet.

Selbst Jyoti hatte ähnliche Erfahrungen, da sie dem traditionellen Frauenbild auf dem Land widersprach und z.B das Feld besichtigen wollte oder alleine reiste.
Dann könnt ihr euch vorstellen, was für Reaktionen Maxi und ich verursachten, vor allem, da wir wahrscheinlich die ersten Europäer waren, die die meisten Locals hier gesehen haben.
Zum Glück hatten wir einigermaßen Privatsphäre, aber sobald wir das Office verließen, gab es direkt große Augen.

Der Höhepunkt war warscheinlich ein Fest recht am Anfang unseres Aufenthalts.
Wir warem hier zur Erntezeit von Hirse. Diese wird hier wegen der Trockenheit angebaut und stellt einen Großteil des Einkommens vieler Bauern da.
So gibt es einmal im Jahr eine Art Erntedank Fest in den Dörfern, aber natürlich Indienstyle.
Das hieß wieder eine Bühne, auf der getanzt und gesungen wurde, leider aber mit Lautsprechern die nur am übersteuern sind und wie immer mit einer Lautstärke die meine Ohren wahrscheinlich jetzt endgültig den Rest gegeben hat.

Das Fest war verbunden mit einigen Ständen die z.B. Erdnüssen, Elektronik oder Schmuck verkauften.
Wie schon gesagt kann es gut sein, dass wir für die meisten Dorfbewohner die ersten Europäer sind, die sie bisher gesehen haben. Also bildete sich beim Stöbern eine immer größer werdende Menschenblase um uns, bis etwa 30-40 Leute sich in dieser befanden.

Man fühlte sich fast wie ein Filmstar: Große Augen, viele machen Fotos oder zupfen dir am Ärmel. Selbst als wir in einem Auto waren und losfuhren folgte uns die Menge, ich hatte sogar Angst, dass wir nicht einige umfahren würden.

Klar, das war jetzt das extremste Beispiel, aber ähnliche, weniger überfordernde, Ereignisse gab es öfter.
Schön war aber, wie positiv viele dieser Begegnungen waren. Ich war das ja aus Delhi schon ein bisschen gewöhnt, aber hier wurde es nochmal getopt. Wir wurden sehr oft eingeladen auf einen Chai oder ein Essen und die Menschen zeigten großes Interesse, vorallem was wir gerade hier in ihrem Dorf treiben würden.

Nach diesen zwei Wochen hat sich meine Kontaktliste auch etwa verdoppelt, genauso wie meine Cricketskills, Anzahl geschüttelter Hände und vorallem Selfies.

Die Gastfreundschaft bezog sich aber nicht nur auf uns. Hier im Dorf ist die Gemeinschaft sehr stark und viel intimer als erwartet.


Die letzten drei Wochen haben mir, denke ich, einen ganz guten Einblick in das Leben hier vor Ort gegeben. Ganz ehrlich, ich habe es mir etwas anders vorgestellt, trotzdem war ich überrascht, wie gut es mir hier gefallen würde.

Das erste was einem auffällt, wie auch wahrscheinlich zu erwaten, ist das Verhältniss der Menschen im Dorf. Na klar, alle kennen sich, sagen hallo und wechseln kurz ein paar Worte.

Ich war einmal mit Akhilesh unterwegs um kurz einige Farmer zu besuchen, aber dies füllte schnell den halben Tag mit Rekordmengen an Chai.

Trotzdem war es unerwartet, wie weit dieses Verhältniss reicht und wie Privatsphäre hier wargenommen wird.


Zum Thema Privatssphäre, es gibt keine. Wenn du also mal kein Frühstück isst, kommt direkt das halbe Dorf und fragt ob es dir gut geht, oder ob du Hilfe mit Kochen oder Einkaufen brauchst.

Auch, wie in vielen anderen Teilen Indiens, leben oft mehrere Generationen in einem Haus.

Man muss sich also oft das Zimmer oder Bett mit Geschwistern oder Eltern teilen. Auch interresant war, dass viele Familien offen, nur unter einem Dach schlafen. Oft sogar mit Blick auf die Straße und ihre Tiere.

In der Hinsicht gibt es aber auch viele Unterschiede, vor allem ausgehend von sozialer Stellung.


Die Dorfbewohner greifen sich oft gegenseitig unter die Arme. Erstmals bei Notfällen, wie Verletzungen oder Krankheit, kommt das Dorf zusammen, um die Familie zu unterstützen oder um finanziell auszuhelfen. Aber auch bei anderen großen Ereignissen, vor allem bei Hochzeiten, macht sich die Dorfgemeinschaft stark, dies zu ermöglichen.

Bei kleineren Dingen wird natürlich auch geholfen. Die meisten Bewohner hier müssen sich zum Glück keine Gedanken über Essen machen, da sie entweder selber etwas produzieren oder genug von ihren Mitmenschen bekommen.

Auch generell leben die Menschen hier einfach. Natürlich gibt es große Unterschiede nach Einkommen, aber es hat jeder ein Dach über dem Kopf und genug zu essen.


Apropos Essen, das war echt super hier. Wir essen hier einfach das, was auch im Office gegessen wird, also authentische und gesunde indische Gerichte. Diese folgen wieder dem bekannten Prinzip von einem dünnen Brot oder Reis mit einer Beilage wie Soße und Gemüse.

Das Highlight für mich war Samosa. Oft gab es im Büro kein Frühstück, also sind wir zu einem Straßenstand im Dorf gegangen, um Samosa zu essen. Dies sind frittierte Teigtaschen mit einer Gemüsefüllung. Wie vieles andere sind diese gut scharf, aber die laufende Nase und ein paar Tränen ist es mir wert.


Akhilesh lästert gerne über die Oberschicht hier. Denn quasi alle harte Arbeit auf den Feldern wird von Feldarbeitern und nicht den Landbesitzern gemacht.

Diese können sich meistens zurücklehnen und haben einen Großteil des Tages frei. Ähnlich ist es bei Erben, die Land verkaufen und dann von diesem Geld leben.

Aber anstatt intelligent mit dem Geld umzugehen, geht das meiste für Whiskey drauf.

Wir wurden oft von Locals nach Hause eingeladen, um das wahrscheinlich beliebteste Indiens, Whiskey mit Wasser, zu trinken.

Darauf konnte ich meist dankend verzichten, denn ich weiß nicht, wer sich diese Kreation ausgedacht hat, aber durch das Wasser schmeckt der Whiskey einfach noch schlimmer als pur.

Aber zurück zum Thema, bei quasi jedem Dorffest, jeder Hochzeit oder einfach auf der Straße sieht man, wie viele Menschen hier trinken.

Diese Ambitionslosigkeit ist was Akhilesh oft kritisierte, vor allem da man mit diesem Geld zur Entwicklung des Dorfes und der Gemeinschaft beitragen könnte. Aber so wird das Erbe zunichtegemacht und viele kommen sogar in finanzielle Probleme, da hier Alkohol recht teuer ist.

Aber anstatt das Thema mal anzusprechen und den Menschen mit ihrem Problem zu helfen, bleibt es aber meistens beim Lästern.


Das bringt mich zu meinem nächsten Punkt: Inder sind unglaublich indirekt.

Ich habe das schon in Delhi beobachtet: Bei Problemen wird erstmal versucht, es der anderen Person irgendwie indirekt klar zu machen.

Wie auch bei anderen Verhaltensweisen war dies auf dem Dorf deutlich stärker vertreten.

Hier lebt man nach der Philosophie: Wenn du dich nicht bei mir beschwerst, dann beschwere ich mich nicht bei dir.

Wie ihr euch denken könnt, ist dies kein gutes System, um Probleme zu lösen.

Das Größte ist wahrscheinlich der Müll. Ich hatte eigentlich erwartet, dass es auf dem Land deutlich weniger Müll gibt als in der Stadt, aber es war fast schon schlimmer als in Delhi.

Hier auf dem Dorf kommt nur selten eine Müllabfuhr, wenn überhaupt, und so sammelt sich der Müll auf einigen lokalen “Müllhalden”.

Es gibt auch keine Mülleimer, also landen die meisten Flaschen, Pappteller oder Spucktabakpackungen einfach auf dem Boden.

Die meisten, die man dazu im Dorf fragt, finden es auch schlecht, aber es ist halt praktisch und man will niemanden darauf ansprechen, um Konfrontation zu vermeiden.


In der letzten Woche hatte uns Akhilesh noch eingeladen, mit ihm sein Heimatdorf an der Grenze zu Nepal zu besuchen.

Auf dem Hinweg machten wir einen kleinen Umweg über Lucknow, die Hauptstadt Uttar Pradeshs. Dort gab es auch wunderschöne Bauwerke aus den Zeiten des Taj Mahals oder der Jamal Mosque.

Wir mussten insgesamt auf beiden Wegen fast 20 Stunden mit dem Bus unterwegs sein und waren dementsprechend ausgepowert.

Leider ist Nepal Visapflichtig und so konnten wir keinen Trip über die Grenze machen. Selbst zum Grenzstein wurden wir nicht durchgelassen, also kann ich jetzt nicht einmal behaupten, in Nepal gewesen zu sein.

Trotz der langen fahrt hat sich der Trip doch gelohnt, da wir so an einem traditionellen Familienfest teilnehmen durften und ich konnte doch noch ein bisschen von der nepalesischen Währung als Erinnerung ergattern.


Zum Schluss nochmal kurz etwas über die Arbeit von Eat Right Basket:

Hier in der Gegend werden einige Produkte für den Onlineshop produziert, wie z.B. Hirse, Senföl oder Papaya. Entweder werden diese auf den Feldern von ERB angebaut oder auf Feldern anderer Bauern.

Dahinter steckt ein cooles System. Organische Produkte erlangen eigentlich überall auf der Welt an Beliebtheit, um aber auf den Trend aufzuspringen müssen, vor allem die lokalen Bauern, verhältnismäßig viel investieren.

Dort kommt dann ERB ins Spiel. Diese machen nämlich vor Ort Fortbildung im Bereich der organischen Landwirtschaft und den Farmern, die dies umsetzen, geben sie die Möglichkeit, ihre Ware zu übernehmen. So haben sie einen sicheren Abnehmer.

Ein weiteres Projekt sind die Testfelder. Jeder Bauer, der Teil von ERB ist, muss einen kleinen Bereich seines Feldes experimentell gestalten. Beispielsweise hat Akhilesh versucht, Papayas unter organischen Bedingungen anzubauen. Dies war ein Erfolg, und so werden die Papayas dieses Jahr großflächiger angebaut.

Aber nicht nur mit Pflanzen wird experimentiert, sondern auch mit Anbauweisen. Die meisten Felder, auch in Deutschland, sind Monokulturen. Dies hat einige Vorteile, vor allem, dass man sich viel Arbeit sparen kann.

Wenn mehrere Pflanzen auf einem Feld wachsen, ist das eine Mischkultur. Diese wurde auch zuerst auf einem Probefeld getestet und wird jetzt großflächiger eingesetzt. Es war sogar so erfolgreich, dass andere Bauern die Techniken sich auch ohne Fortbildung abgeschaut haben.

ERB bewirbt auch noch kleinere Projekte vor Ort, wie urban gardening oder organischen Dünger. Auch wird alle Arbeit auf den Feldern per Hand gemacht, da man so einigen Dorfbewohnern eine Möglichkeit gibt Geld zu verdienen, denn diese haben es vor allem im Winter schwer, Arbeit zu finden.


Die letzten drei Wochen waren echt ein Abenteuer und ich habe viel Neues entdeckt und gelernt. Ich hoffe ich konnte euch einen Einblick in das indische Dorfleben und meine Arbeit geben und ich bin gespannt, was Indien noch so alles zu bieten hat.


Hier noch ein paar extra Bilder: